Inklusion als Chance: Wie Menschen mit Handicap die IT-Branche bereichern

Dienstag, 31.10.2023
Steffen Jung

Am 26. Oktober 2023 hatte ich die Ehre, connect.IT bei einer informativen Veranstaltung der Agentur für Arbeit in Heilbronn zu vertreten, die sich einem Thema widmete, das für die IT-Branche von zunehmender Bedeutung ist: die Integration von Menschen mit Handicap in den Arbeitsmarkt. In einer Zeit, in der Diversität und Inklusion nicht nur als soziale Imperative, sondern auch als Schlüssel zu kreativen und innovativen Teams anerkannt werden, bot diese Veranstaltung tiefe Einblicke in die Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit Handicap und die vielfältigen Unterstützungsangebote für Betriebe, die sich auf diesem wichtigen Gebiet engagieren möchten.

Falk Aschenbrenner, Reha/Sb-Spezialist bei der Agentur für Arbeit in Heilbronn, lud zu einem Dialog über die Herausforderungen und Chancen ein, die die Integration von Menschen mit Behinderung mit sich bringt. Die Veranstaltung diente nicht nur als Informationsplattform, sondern auch als Ort des Austauschs zwischen Arbeitgebern, Bildungs- und Integrationsdiensten sowie beratenden Institutionen.

Manfred Grab, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Heilbronn, teilte seine bereichernden Erfahrungen aus dem bundesweiten Aktionstag „Schichtwechsel“, bei dem Menschen mit und ohne Behinderungen ihren Arbeitsplatz wechseln. Er hatte hierdurch die Möglichkeit, in der Metall-Werkstatt des Therapeutikums mitzuarbeiten. Dieser Perspektivwechsel ermöglichte es ihm, die Wichtigkeit und den Wert solcher Einrichtungen aus erster Hand zu erleben.

Bei der Veranstaltung wurden verschiedene Modelle der beruflichen Integration und Ausbildung vorgestellt, welche flexible und unterstützende Rahmenbedingungen schaffen, um den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten von Menschen mit Handicap gerecht zu werden.

Im Ausbildungsbereich wurden die folgenden Modelle thematisiert:

Betriebliche Ausbildung mit Fördermöglichkeiten:

  • Ziel: Qualifizierung von Menschen mit Handicap direkt im Unternehmen.
  • Unterstützung: Finanzielle Zuschüsse für Ausbildungsvergütung und Anpassung des Arbeitsplatzes.

Reha-Ausbildung (Kooperative Berufsausbildung)

  • Struktur: Partnerschaft zwischen Bildungseinrichtungen und Unternehmen.
  • Ablauf: Kombination aus Berufsschule, spezialisiertem Förderunterricht und praktischer Arbeit im Betrieb.
  • Kosten: Keine direkten Ausbildungskosten für den Betrieb.

Ausbildung im Berufsbildungswerk:

  • Zielgruppe: Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf.
  • Umgebung: Theoretische und praktische Ausbildung in spezialisierten Einrichtungen.
  • Kooperation: Praktika und Teilbereiche der Ausbildung in Kooperationsbetrieben.
  • Kosten: Keine direkten Ausbildungskosten für den Betrieb.

Stefan Przibilla, Bereichsleiter von Internationaler Bund (IB) in Heilbronn, gab einen aufschlussreichen Einblick in den Ablauf einer Reha-Ausbildung, die als kooperative Berufsausbildung für Menschen mit besonderem Förderbedarf konzipiert ist. Der typische Aufbau dieser Ausbildung gliedert sich in einen Tag Berufsschule, einen Tag im IB mit Stütz- und Förderunterricht sowie sozialpädagogischer Betreuung, gefolgt von drei Tagen praktischer Arbeit im Kooperationsbetrieb. Trotz der aktuell geringen Nachfrage im IT-Sektor, betonte Przibilla die Offenheit und Bereitschaft Betriebe in diesem Bereich zu beraten und zu unterstützen, um die Chancen und Möglichkeiten einer Reha-Ausbildung auch in der IT-Branche zu erweitern.

Elke Hoheisel vom Berufsbildungswerk Mosbach Heidelberg stellte die Möglichkeiten vor, die junge Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf in anerkannten Ausbildungsberufen haben. Im Berufsbildungswerk wird eine Kombination aus schulischer Bildung und praktischer Anwendung geboten, beispielsweise in Werkstätten. Hoheisel betonte das starke Interesse des Berufsbildungswerks an Kooperationen mit Unternehmen, die durch Praktika oder eine verzahnte Ausbildung realisiert werden können, wobei Teilbereiche der Ausbildung direkt im Betrieb stattfinden – auch hier entstehen den Betrieben keine Kosten. Besonders im Bereich der Fachinformatik zeigt sich bereits ein Erfolg mit acht Absolventen, was die wachsende Bedeutung der IT in diesem Sektor unterstreicht. Zudem wurde hervorgehoben, dass solche Ausbildungsprogramme auch für erwachsene Menschen eine wertvolle Perspektive bieten können.

Herr Aschenbrenner erörterte die Flexibilität und Notwendigkeit individueller Lösungen im Bereich der betrieblichen Ausbildung. Er betonte, dass es aufgrund der Vielfalt an Handicaps keine "Standard-Lösung" geben kann und dass spezielle Anforderungen berücksichtigt werden müssen. Die Bandbreite der Ausbildungszuschüsse variiert in der Regel zwischen 30-60%, wobei auch Regelungen für Härtefälle möglich sind.

Ein zentrales Thema war die Integration nach der Ausbildung und die damit häufig verbundenen Bedenken von Arbeitgebern. Ein Lösungsansatz ist der Probebeschäftigungsvertrag, der bis zu drei Monate ohne arbeitsvertragsrechtliche Bindung laufen kann und bei dem die Lohnkosten zu 100% erstattet werden – unabhängig davon, ob es zu einer Übernahme kommt oder nicht. Dieses Modell gilt sowohl für die Phase nach der Ausbildung als auch für Bewerber und kann auch bei einem anschließenden Arbeitsverhältnis weiterhin Förderung ermöglichen. 

Das übergeordnete Ziel ist die langfristige und nachhaltige Integration von Menschen mit Handicap in den Arbeitsmarkt.

Elke Schmidt vom Integrationsfachdienst führte in die Arbeit der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) ein und beleuchtete das breite Spektrum an Behinderungen, mit denen sie in ihrer Arbeit konfrontiert wird. Sie machte darauf aufmerksam, dass Behinderungen sowohl sichtbar als auch unsichtbar sein können und reichen von physischen Einschränkungen wie Wirbelsäulenproblemen über psychische Erkrankungen wie Depressionen bis hin zu sensorischen Beeinträchtigungen und Autismus. Schmidt betonte die Bedeutung der individuellen Anpassung des Arbeitsplatzes und erklärte, dass der Integrationsfachdienst auch Unterstützung bei der behindertengerechten Ausstattung von Arbeitsplätzen bietet, um eine optimale Integration und Produktivität zu gewährleisten.

Als erste Anlaufstellen für Unternehmen, die sich auf dem Weg der Inklusion engagieren möchten, dienen oft die Arbeitsagentur oder die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA). Sobald der zuständige Kostenträger – sei es die Agentur für Arbeit, die Rentenversicherung oder die Berufsgenossenschaft – identifiziert ist, erfolgt eine detaillierte Beratung über die weiteren Möglichkeiten.

Für IT-Unternehmen, die auf der Suche nach qualifiziertem Personal sind, kann die Beschäftigung von Menschen mit Handicap eine bereichernde Chance darstellen. Diese Personengruppe bringt oft eine hohe Motivation und Dankbarkeit für die gebotenen Chancen mit, was zu einer gesteigerten Leistungsbereitschaft führen kann. Zudem kann die Diversität im Team nicht nur zu einem positiven Arbeitsklima beitragen, sondern auch zu innovativen Lösungen und einem erweiterten Verständnis für unterschiedliche Nutzerperspektiven führen.

Die Veranstaltung schloss mit einem klaren Appell an die soziale Verantwortung und die wirtschaftliche Klugheit von Unternehmen, die Vielfalt als Chance zu begreifen. Arbeitgeber, die sich auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Handicap einlassen, können nicht nur von deren außergewöhnlicher Motivation und Loyalität profitieren, sondern auch ihre Teams durch einzigartige Perspektiven bereichern. Die Integration in den Arbeitsmarkt geht über die bloße Besetzung von Stellen hinaus; sie ist ein Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft und einem dynamischeren, kreativeren Arbeitsumfeld. 

In der IT-Branche, wo innovatives Denken und Problemlösungsfähigkeiten entscheidend sind, kann die Erschließung des Potenzials von Menschen mit Handicap einen unschätzbaren Vorteil darstellen.